Phänologie-Konferenz 2022 in Avignon

PHENOLOGY 2022 Avignon, Frankreich, 20.6.2022 – 24.6.2022.Hannah Ahrendt University Avignon

Phenology at the crossroads - The international meeting of the community working on phenology

Seit 2012 werden in drei jährigen Abständen internationale phänologische Tagungen organisiert (2012 USA, 2015 Türkei, 2018 Melbourne und jetzt 2022 Frankreich) mit etwa 150 – 200 Teilnehmern aus aller Welt. Dachorganisation ist die Phenology Commission der International Society for Biometeorology mit Sitz in Milwaukee, USA. https://uwm.edu/biometeorology/

Das Konferenzmotto: Climate change is modifying the phenological cycle of many species, directly affecting the functioning of ecosystems, species distributions, agriculture and the feedbacks between the biosphere and the atmosphere. Phenology has become an important topic for many societal and economic issues. As a result, the community working on phenology has expanded considerably over the past 20 years, integrating other actors than scientists through participatory research action programs. Phenology has also gained interest from an increasing range of scientific disciplines (functional and evolutionary ecology, physiology, agronomy, genetics, climatology, remote sensing, aerobiology…).

For these reasons, we want to emphasize during this conference the fact that phenology is now at the crossroads of many different disciplines and actors, all working in providing insights and solutions to two enormous challenges that our societies are facing: climate change adaptation and mitigation and sustainable development.

Die ZAMG war mit einem Vortrag PEP725, the European phenological database, not just an update und einem Poster A first guess late frost damage model for apple in Austria vertreten.

Der Tagungsort

Nach der mehr als zweijährigen COVID  - Pause demonstrierte die Konferenz den Wert unersetzbarer persönlicher Begegnungen. Ausgezeichnet organisiert vom französischen Phänologie Team an einem Ort mit einer außerordentlichen Bedeutung für die mittelalterliche Geschichte Europas. Die Altstadt von Avignon wird von einer noch intakten Stadtmauer umschlossen. Im 14. Jahrhundert residierten etliche Päpste in der Stadt. Die Anfänge der Universität von Avignon, der Ort der Tagung, reichen bis ins Jahr 1303 zurück, nur 50 Jahre nach der Gründung der Sorbonne in Paris.

Rolle von PEP725

Sehr erfreulich zu beobachten war die recht häufige Erwähnung von PEP725, das ist der von der ZAMG betrieben europäische phänologische Datensatz. Ein immer größerer Teil von empirischen Studien, die sich mit pflanzenphänologischen Fragestellungen beschäftigen, greifen auf PEP725 zurück. Damit wird uns wohl sehr nahe gelegt, diesen Datensatz über das zur Zeit befindliche absolute Minimum hinaus zu entwickeln und leichter zugänglich zu machen.

Verschiebung und Erweiterung der thematischen Schwerpunkte

Wie im Konferenzmotto angedeutet, lässt sich eine Verschiebung und Erweiterung der thematischen Schwerpunkte im Zusammenhang mit phänologischen Fragestellungen beobachten. Der Anlass für den Beginn einer intensiveren Beschäftigung mit phänologischen Fragestellungen, die Betrachtung phänologischer Trends als Klimafolge, wird zunehmend an den Rand gedrängt. Die Beziehung mit dem Klimawandel bleibt erhalten, es rücken allerdings Themen aus dem Bereich Wirkung des Klimwandels auf Ökosysteme und der Klimawandelanpassung in den Mittelpunkt.

Eine knappe Auflistung von willkürlich ausgewählten Themen:

  • Klimawandel, Phänologie von Schadinsekten und Bekämpfungsmaßnahmen, z.B. Kiefernprozessionsspinner, Zecken, die Oliven Fruchtfliege
  • Klimawandel, Trends und Zyklen in der Produktion von allergenen Pollen, Mastjahre
  • Remote Sensing und Phänologie, Anwendungen im Obstbau und im Forst, Ground Phenology (u.a. PEP725) fürs Ground Truthing.
  • Klimawandel, Phänologie und Trophic Interaction, dazu wurde viel spekuliert und diverse Befürchtungen geäußert, dass z.B. durch den Klimawandel die Nahrungsketten asynchron werden könnten und damit der Fortbestand von Tierarten gefährdet wird. Das gut verzahnte System der diversen Nahrungsabhängigkeiten könnte durcheinander kommen. Offenbar hat sich diese Befürchtung kaum bewahrheitet, weil die Plastizität der diversen Elemente der Ökosysteme unterschätzt wurde.
  • Die Phänologie der tropischen und subtropischen Gebiete wird zwar untersucht, ist aber im Verglich zu den mittleren höheren Breiten immer noch stark unterrepräsentiert.
  • Etliche Posters und Vorträge beschäftigten sich mit Fragen der Beobachtungspraxis und Citizen Science. Dazu gehören Fragen zur Beobachtungsgenauigkeit und Fehleranfälligkeit.
  • Beherzte Kolleginnen und Kollegen unternehmen Anläufe, globale phänologische  Datenbanken zu schaffen. Erwähnenswert ist der Versuch, einen globalen phänologischen Kalender für Feldfrüchte herzustellen.
  • Beeindruckend sind molekularbiologische Ansätze im Bereich der Phänologie. Die Steuerung des saisonalen Zyklus spiegelt sich in den molekularbiologischen Vorgängen der Pflanzen, die über viele Pflanzenarten hinweg sehr ähnlich ablaufen. Dazu wird mit dem Begriff des Transkriptoms gearbeitet, das ist die Summe aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle transkribierten, das heißt von der DNA in RNA umgeschriebenen Gene, also die Gesamtheit aller in einer Zelle hergestellten RNA-Moleküle.
  • Weitere Themen: Kohlenstoffkreislauf und Phänologie, Anwendung von besonderen multivariaten statistischen Methoden in der Phänologie, wie Clusterung, Common Garden Experiment, Experimente in Klimakammern, …, usw …

Interdisziplinarität

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, Überlegungen zur Position der Phänologie innerhalb der Atmosphärenwissenschaften anzustellen. Im Grund handelt es sich eigentlich um einen winzigen Ausschnitt aus der Biologie, der hier mit der Lupe vergrößert betrachtet wird.

Dass die Phänologie in die Atmosphärenwissenschaften hineingerutscht ist, liegt in deren Entstehung und Geschichte begründet. Noch vor der Zeit der technischen Möglichkeiten des Echtzeitaustauschs von meteorologischen Messungen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden von den meteorologischen Messnetzen Beobachtungen gesammelt und a-posteriori ausgewertet. In diese Zeit fällt das erste Interesse der Klimatologie an der Phänologie, als ergänzende Hinweise auf die Klimavariabilität durch pflanzen- und tierphänologische Beobachtungen.

Erst mit der Entwicklung der Kommunikationstechnologien und den Möglichkeiten der mathematischen Beschreibung der atmosphärischen Zirkulationsvorgänge wird die Phänologie als Informationsquelle für klimatologische Zwecke zunehmend ausgeblendet. Der zweite Anlauf phänologischer Aktivität fällt in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Aus dieser Zeit stammen die heutigen teilweise noch aktiven phänologischen Messnetze im Bereich der nationalen Wetterdienste. Der dritte Anlauf intensiverer Beschäftigung mit der Phänologie ist um zwischen 1995 und 2000 zu beobachten und auf die Klimawandelproblematik zurückzuführen. Etliche europäische und außereuropäische Wetterdienste verwalten hier ein Erbe, das in vieler Hinsicht einmalig ist. Ein Schatz und ein disziplinäres Mischwesen aus Biologie und Atmosphärenwissenschaften.

In Anbetracht der rasanten thematischen Verschiebungen im Bereich der phänologischen Forschung stellt sich die Frage der Positionierung und Weiterentwicklung der Phänologie im Rahmen eines nationalen Wetterdienstes, gekennzeichnet durch biologische Enge vermischt mit zahlreichen Berührungen mit den Atmosphärenwissenschaften. Auf der anderen Seite das kaum zu überschätzende Potential der sich über viele Jahrzehnte erstreckende Beobachtungsreihen, die der Beständigkeit meteorologischen Beobachtens zu verdanken und daher von biologischer Seltenheit sind. Es geht nicht ohne aufwändige Interdisziplinarität. Die Themen sind von hoher wissenschaftlicher und praktischer Relevanz. Die immer länger werdende Liste von hochkarätigen Arbeiten zur klimatischen Plastizität der Pflanzen, Ökosysteme und vor allem Nutzpflanzen zeugen von der Wichtigkeit der Phänologie.

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